Liberale Demokratie schützen

Rechtsextremismus: So retten wir unsere liberale Demokratie

Der Rechtsextremismus scheint auf dem Vormarsch, Populisten und Verschwörungstheoretiker bekommen immer mehr Zulauf. Ich mache mir große Sorgen um unsere Gesellschaft. Wie können wir unsere liberale Demokratie retten? Ich habe dazu zehn Thesen.

Update im Juni 2023: Diesen Blogartikel habe ich ursprünglich im September 2018 geschrieben – wenige Tage, nachdem ein rechter Mob durch Chemnitz gezogen ist. Die Ereignisse damals haben mich tief erschreckt. Seitdem ist viel passiert – und rechtes Gedankengut scheint stärker denn je in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Am 25. Juni 2023 wurde nun erstmals ein Vertreter einer in Teilen rechtsextremen Partei zum Landrat eines thüringischen Landkreises gewählt. Wir müssen endlich handeln.

Unsere Gesellschaft ist bedroht

Rechtes und rechtsextremes Gedankengut ist in den letzten Jahren immer stärker und salonfähiger geworden. Nicht die Nazis in Sachsen und auch nicht die AfD haben dieses Gedankengut stark gemacht, sondern umgekehrt. Was aber ist für das Erstarken der Rechten verantwortlich? Eine einfache Antwort gibt es wie immer nicht – und viel wichtiger finde ich die Frage, was wir dagegen tun können. Ganz konkret: Wie können wir unsere freiheitliche Demokratie retten? Dazu habe ich zehn Thesen.

1. Kämpft nicht gegen, sondern kämpft für etwas

Der Kampf gegen Rechts hat für viele Demokraten derzeit Priorität. Ich kann das gut verstehen und teile dieses Gefühl. Aber es ist falsch, alle Kräfte nur auf den Kampf gegen etwas zu konzentrieren. Macht Euch bewusst, dass die vielen Menschen, die jetzt den Rechten hinterherlaufen, untrennbarer Teil unserer Gesellschaft bleiben werden. Wir müssen sie zurückgewinnen. Wir bekämpfen den Rechtsextremismus am besten, indem wir ihm die Leute wegnehmen – und das geht nur mit einer positiven Alternative.

Die Welt erscheint heute unsicherer denn je. Für viele Menschen ist die Zukunft eher Bedrohung als Verheißung. Es ist Aufgabe der Politik, den Menschen einen Weg in eine gute und positive Zukunft aufzuzeigen und ihnen Hoffnung zu geben. Kämpft nicht gegen etwas – kämpft für etwas!

Was gewinnt gegen die Dunkelheit? Das Licht. Wenn wir den Menschen Angst und Hass nehmen wollen, können wir das nur mit Zuversicht und Hoffnung.

2. (Menschen) nicht aufgeben

Wir dürfen nicht aufgeben. Und das heißt: Wir dürfen auch die Menschen nicht aufgeben. Gerade das Letztere ist schwierig. Ich habe vor ein paar Tagen ein Video gesehen, in dem Dunja Hayali in bewundernswerter Ruhe mit hysterischen, zornigen Demonstranten gesprochen hat. Da war eine unglaubliche Aggressivität zu sehen, Hysterie und blanker Hass. Und wenn ich das so offen sagen darf: Mein Bauchgefühl hat auch gesagt, dass ich da viel pure Dummheit sehe. Da möchte man intuitiv die Flucht ergreifen und am liebsten jeden Kontakt mit solchen Menschen vermeiden.

Aber dann haben wir endgültig verloren. Wir müssen die Zähne zusammenbeißen und mit der gleichen Geduld wie Dunja Hayali weiter mit den Menschen reden. Immer wieder. Sachlich argumentieren, Missverständnisse und auch Lügen korrigieren.

Das bedeutet konkret aber auch, dass wir z.B. solche Menschen nicht aus unseren Kontaktlisten in den Social Networks löschen dürfen, nicht den Kontakt mit ihnen abbrechen dürfen. Und wir dürfen sie nicht einfach nur wüst beschimpfen und lächerlich machen. So schwer es fällt. Ich bin kein Christ, ich glaube nicht an Gott. Aber ich bin versucht zu sagen: Wir können nur gewinnen, wenn wir dem Hass mit Nächstenliebe begegnen.

3. Ängste ernst nehmen

Niemand wacht morgens auf und ist plötzlich rechtsextrem. Wie jede Einstellung und Haltung entwickelt sich auch diese erst mit der Zeit. Am Anfang steht bei vielen die Angst. Diese Angst kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. Manche sind sehr konkret, viele eher diffus. Da ist die Angst vor wirtschaftlichem Abstieg, vor Arbeitslosigkeit und Armut. Da ist die Angst vor Gewalt und Kriminalität. Ja, es gibt auch viel Angst vor dem Fremden, dem Unbekannten, dem Ungewohnten. Und es gibt viel Angst vor Veränderung. Die meisten dieser Ängste sind nicht nur unbegründet, sondern zum Teil auch völlig absurd.

Dennoch: Wir müssen diese Ängste ernst nehmen, und zwar alle! Wir können ein kleines Kind, das Angst vor den vermuteten Monstern unter seinem Bett hat, nicht beruhigen, indem wir ihm sagen, dass das alles Quatsch sei. Wir dürfen es auch nicht auslachen und verspotten. Nur wenn wir auf das Kind eingehen und alles tun, um ihm zu zeigen, dass es keine Monster gibt, wird es seine Angst verlieren.

Angst, die nicht ernst genommen wird, verstärkt sich. Und ja, hier zitiere ich gerne einmal Meister Yoda aus Star Wars: “Angst führt zu Wut, Wut führt zu Hass, Hass führt zu unsäglichem Leid.”

4. Perspektive wechseln

Ich war selbst lange Zeit ehrenamtlich in der Politik engagiert und arbeite heute täglich mit Politikerinnen und Politikern auf allen Ebenen zusammen. Dabei fällt mir immer wieder auf: Politik wird heute meist aus der Perspektive der Politiker gedacht und gemacht. Das gilt für alle Lager, für alle Parteien.

Ob bei der Themenwahl, der Sprache oder bei konkreten Entscheidungen – viel zu selten versetzen sich Politiker bewusst in die Lage derer, für die sie eigentlich Politik machen wollen. Dies gilt besonders für ihre Kommunikation, die als Überzeugungsarbeit zentraler Bestandteil der Demokratie ist.

Politikerinnen und Politiker haben viel zu oft einen Tunnelblick, sehen wenig, was am Wegesrand liegt. Und sie bleiben in ihrer kleinen politischen Blase. In dieser Blase sind Dinge wichtig, von denen außerhalb nur wenige wissen. Politische Ränkespiele sind manchmal wichtiger als die eigentlichen Themen. Posten und persönliche Befindlichkeiten stehen über der Sache. Die eigene Bedeutung scheint grenzenlos, die eigene Perspektive die einzig richtige. Aber auch die eigenen Ideale und Prioritäten werden selten daraufhin überprüft, wie die eigene Zielgruppe dazu steht.

Betrachtet Politik doch einmal so, wie sie von außen wahrgenommen wird. Ihr werdet staunen, vielleicht sogar erschrecken. Überlegt, welche Aspekte eines Themas die Menschen auch interessieren? Was bewegt sie?

5. Werdet verständlich

Politik wird heute nur noch von wenigen verstanden. Das meine ich wörtlich. Die Politikerinnen und Politiker bedienen sich so oft einer Sprache, die von den normalen Menschen kaum noch verstanden wird. Das ist eine regelrechte Fremdsprache. Begriffe haben andere Bedeutungen, Alltagswörter werden durch Kunstwörter ersetzt, Fremdwörter und Abkürzungen sind eher die Regel als die Ausnahme. Und wir lieben scheinbar leere Phrasen.

Sprecht und schreibt endlich so, wie es ganz normale Menschen tun! Politik ist keine Wissenschaft. Politik sollte sich auch nicht über die Sprache selbst erhöhen. Politik muss bodenständig, einfach und verständlich sein. Auch komplexe und schwierige Sachverhalte lassen sich am Ende ganz einfach ausdrücken. Man muss es nur wollen!

6. Habt eine Vision

Politik ist mehr als die Summe einzelner Sachentscheidungen. Ein politisches Programm muss mehr sein als eine Sammlung einzelner politischer Forderungen. Es braucht ein verbindendes Element. Es braucht eine Vision. Politik ohne Vision, ohne ein starkes “Warum” im Zentrum ist blutleer, austauschbar und kann nicht begeistern.

Achtung! Mit einer Vision meine ich nicht die mittlerweile hohlen Phrasen, die derzeit oft von den verschiedenen Lagern bemüht werden. Es geht auch nicht um das christlich-konservative Abendland oder um eine wenig greifbare soziale Gerechtigkeit. Eine Vision muss gelebt werden, sie muss mitreißen und alle Sachentscheidungen begründen können.

Politik braucht eine große, übergreifende Idee von der Zukunft, und muss den Menschen den Weg dorthin ausmalen und zeigen.

7. Akzeptiert andere Sichtweisen und Einstellungen

Seit ich diesen Beitrag 2018 zum ersten Mal veröffentlicht habe, hat sich eine Entwicklung leider immer mehr beschleunigt: Abweichende Ansichten und Haltungen werden immer weniger akzeptiert. Mit der absoluten Gewissheit der moralischen Überlegenheit werden vermeintliche Verfehlungen unbarmherzig verurteilt.

Das kann nicht gut gehen. Eine Gesellschaft muss ein breites Spektrum von Lebens- und Moralvorstellungen aushalten. Auch das ist Vielfalt. Wer das nicht akzeptiert, schadet der freiheitlichen Demokratie.

8. Werdet unterscheidbar

Demokratie bedeutet, eine Wahl zu haben. Aber eine Wahl bedeutet auch eine Auswahl. Eure Vision und Euer Programm müssen sich deutlich von denen Eurer Mitbewerber unterscheiden. Die liberale Demokratie sollte ein Wettbewerb der besten Ideen und Visionen sein – aber genau das scheint in den letzten Jahren immer weniger der Fall gewesen zu sein. Die Positionen und Inhalte der Parteien sind immer austauschbarer geworden, und am Ende kann kaum noch jemand genau sagen, welche Partei eigentlich wofür steht.

Dazu gehört auch: Koalieren heißt nicht, in allen Fragen einer Meinung zu sein. Entwickelt deshalb ein eigenes Profil, das Euch und Eure Partei unverwechselbar macht.

9. Werdet verlässlich

Parteien und Politiker wechseln ihre Positionen und Seiten scheinbar mühelos. Das kann nicht funktionieren. Politik muss verlässlich sein, auch in ihren Inhalten und in ihren Gegensätzen. Steht zu Eurem Wort und sagt auch offen, wenn Ihr einmal eine Forderung nicht erfüllen könnt oder wollt. Haltet die Kontroverse darum aus und wenn ihr einmal inhaltlich unterliegt, dann steht dazu.

Nichts ist schlimmer als der Eindruck, Politiker seien wie die Fahnen im Wind. Deshalb zeigt Rückgrat!

10. Haltet zusammen

Bei allen Unterschieden, Kontroversen und politischen Streits: Haltet als Demokraten zusammen! Zieht Linien des Anstand und des Respekts und verletzt diese dann nicht. Michelle Obama hat im Wahlkampf gegen Trump gesagt: “When they go low, we go high.” Manch einer hat ihr hier Arroganz unterstellt. Ich verstehe diesen Satz aber so: Wenn die anderen anfangen, unter der Gürtellinie zu argumentieren – und auch wenn die anderen mit Hass und Vorurteilen arbeiten – dann verlassen wir uns erst recht auf unsere Werte, auf unseren Anstand und unsere Moral.

Bitte: Haltet zusammen, nehmt nicht jede Gelegenheit wahr, dem politischen Gegner persönlich oder charakterlich schaden zu wollen. Spart Euch Euren Spott und Eure Häme. Je mehr wir Demokraten einander so bekämpfen, desto weniger werden die Menschen da draußen uns noch als Menschen wahrnehmen, die alle eigentlich nur eines wollen: Die beste Politik machen.

Mein Fazit

Wir können den Kampf gegen Rechts nur gewinnen, wenn wir begreifen, was unsere Aufgabe ist: Nicht die Zerstörung der rechten Ideologie sollte im Mittelpunkt stehen, sondern unsere Bemühungen, Menschen für unsere Sache, unsere Visionen und unsere Werte zu gewinnen. Gebt den Menschen eine echte Alternative – eine Alternative des Guten, der Hoffnung und der Zuversicht.

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